.......... Theologischer Ansatz  ·  Seelsorge  ·  Unser Anliegen · Projektbeiträge  · Arbeitswelt  ·  Religionsunterricht  ·  Gottesdienste und Ritualfeiern in moderner Gestalt
 

Theologischer Ansatz
 

Für eine Theologie 
der Lebenswirklichkeit II


Schlimmer noch, wer wie die Mehrheit unserer heutigen Theologen den Mythos nur noch am Rande erwähnt, um ihn gleich darauf zu widerlegen, beteiligt sich an einem bereits Jahrhunderte währenden Holocaust, dem unzählige Menschen, große Ideen und Kunstwerke Europas zum Opfer fielen. Denn eines muß deutlich gesagt werden: Nicht nur die Christen haben mit der Inquisition und vergleichbaren Praktiken unsagbare Greuel an den Ketzern, Hexen und Heiden begangen. Auch die ihnen folgende  Aufklärung setzte die Tendenz weiter fort; sie erklärte die Gedankenwelt der Verfolgten und Verbrannten für rückständigen Aberglauben, die Opfer selbst wurden oft genug als kranke Irre, Hysteriker o.ä. dargestellt. Aufklärung und Materialismus löschten damit noch das Andenken und die Ehre derer aus, die in den kirchlichen Tribunalen verurteilt und physisch vernichtet worden waren. Die Niederschlagung der Erhebungen jener christlichen Bauern aus der Vendee und in der Bretagne durch Truppen der frz. Revolution, die Ausrottung der sibirischen Schamanen durch Stalin, die KZ - Haft für gläubige Christen in der DDR gehören in eine Linie mit der bis heute gängigen kulturzerstörenden Indianermission oder der Diskriminierung z.B. jener tiefgründigen Philosophie des Tarot. Mechanistisches Weltbild und rigides Religionsverständnis ziehen immer dann vereint an einem Strang, wenn sie verhindern wollen, daß Menschen eigene lebendige innere Welten und Lebensformen entdecken.

Verfällt man als Pfarrer nicht dem einen Problem, der rationalen Glaubensabstraktion und der Anfälligkeit für - zumeist linke - Ideologien, so gerät man um so leichter in das andere Extrem. Man nannte sie früher "Gnesiolutheraner" - sie suchten den Streit, die Abgrenzung und Ausmerzung anderer Gedanken um jeden Preis. Unter ihrem Regiment wurden evangelische Brüder - Calivinisten - gehängt. Sie zwangen die deutsche Bevölkerung mit Polizeistrafen zur Kirche. Aber sie konnten sich wunderbar stets auf Martin Luther und seine Streitbarkeit berufen. Daß dieser so kämpferisch sein mußte - immerhin war sein Leben in Gefahr - und daß er in der Folgezeit bevorzugt auf bedrängte, ohnmächtige Andersdenkende, auf Juden und Bauern einhieb, wird übersehen. Luthers streitbare Grundhaltung beeindruckt die heutigen "Apologeten", und die alten Leitbilder wirken in uns offenbar massiv nach: Wir führen uns immer noch auf wie die Inquisitoren, agitieren gegen Andersgläubige oder wettern gegen Lebenshilfeangebote wie Tai Chi und Yoga. Ganz, als wären wir im 16. Jahrhundert - woher aber wollen wir denn wissen, daß diese neuen Gruppen, diese neuen Lehren alle schlecht sind? War je einer dieser Kollegen dort und hat es selbst erprobt, geübt etwa sogar und sich darauf eingelassen? Kann es denn nicht sein, daß der Unbekannte Gott, von dem Paulus (Apg. 17,23) in seiner feinfühligen Rede zu den Athenern sprach, sich auch in der Symbolik oder den göttlichen Gestalten der fremden Kultur verbirgt?

Obgleich ich bei meiner späteren Arbeit, der Beratung von Opfern aus Sekten und Okkultgruppen mich selbst ebenfalls bei Vorurteilen gegen die "Neuen" oder "Fremden" ertappte, es ist offenbar ein ziemlich tief sitzender Reflex, stellte sich mir nach einiger Zeit die Frage:  Wie kommen wir Theologen dazu, andere Religionen allein deshalb, weil sie fremd sind, so negativ - und oft bewußt verzerrt - darzustellen?
Um wenigstens eine fremde Kultur, eine andere Religion wirklich von innen her zu verstehen, begab ich mich eine für eine längere Zeit in eine "Sekte" - und habe dort sehr viele neue und überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Weitere, gezielte  Feldforschungen führten mich von da an tief in die Bereiche der hinduistischen, indianischen und muslimischen Spiritualität. Ich versuchte diese fremde Welt zu erfahren, ohne meinen eignen Standpunkt aufzugeben.

Wir müssen zugestehen, daß unsere jeweilige theologische Lehre nur Menschenwerk ist, das bestenfalls von Gott kündet, aber der Zeit und dem Zeitgeist ebenso verfallen ist wie andere menschliche Lehrsysteme oder Ideologien. Dies beweisen religionsgeschichtlich die Entwicklung von Gruppen innerhalb der Konfessionen, z.B. des Pietismus, wie auch die Wandlung mancher Sekten zu heute akzeptablen Glaubensgemeinschaften.
"Denn unser Erkennen ist Stückwerk", wie Paulus in 1.Kor. 13,9 sagt. Die anderen Stücke sind in den Händen unserer Brüder und Schwestern in fremden Kulturen, in anderen Religionen. Wenn wir eines Tages Grenzen und Vorbehalte überwinden, werden wir diese kostbaren Teile zusammentragen, vergleichen und, so Gott will, zu einem höheren Ganzen zusammenfügen. Übrigens haben Pietisten und Esoteriker (damals Freimaurer bzw. Rosenkreuzer), Christen, Sektenanhänger und Atheisten schon einmal bei einem weltbewegenden Projekt erfolgreich zusammengearbeitet! Es war zu Beginn der Neuzeit, da entstand aus den verschiedensten Zirkeln, Gruppen und Gemeinden heraus die amerikanische Verfassung, eines der beachtlichsten Dokumente menschlicher Rechte, individueller Freiheit und des fortschrittlichen Denkens. Wir Christen heute sind in ähnlicher Weise dazu aufgerufen,  mit den Heiden, mit den Andersgläubigen, mit den Zweiflern, mit den Esoterikern oder Atheisten die künftige Welt und ihre dringend notwendige neue Ethik zu beraten und zu gestalten, damit für die Menschen dieser Erde eine lebenswertere Zukunft erwächst.

Eines kann und muß bereits jetzt sofort getan werden: Es gilt, die Versöhnung nicht als theologischen Allgemeinplatz rhetorisch zu fordern, sondern als konkrete, echte Aussöhnung mit den "Anderen" zu praktizieren. Wann besuchen wir also die Moslems zu ihrem Gebet? Wann laden wir die Buddhisten oder gar die Reiki- Anhänger zu einer gemeinsamen Veranstaltung in unsere Gemeindehäuser? Das ist die Probe darauf, ob wir nur schöne Phrasen dreschen oder ob wir die Konsequenz der Versöhnung begreifen, wie es z.B.  in 1. Mose 12 steht: "....Mit deinem Namen werden sich Segen wünschen alle Geschlechter der Erde." In diesem großen Wort ist nicht von Zwang oder Abgrenzung die Rede, nicht von irgend einer Mission, auch nicht von sanftem Druck, sondern nur von Segen, von einem unfassbar großen Segen.
Es ist dies ein Segen, welcher von einer konkret gelebten Lebenswirklichkeit ausgeht, die zum Vorbild für andere werden kann. "Mit jedem Pfarrer, der ein Heidenkind segnet..." - und es bei dessen Glauben läßt - "oder einem Nichtchristen auf dem Friedhof die letzte Ehre erweist, mit jedem Christen, der zum Andersgläubigen "Bruder" und "Schwester" sagt, entsteht ein Stück der neuen, umfassenderen Kathedrale, einer Kirche des Geistes, nicht der Macht, getreu der ursprünglichen Lehre Jesu und passend in die neue Zeit. Mit jedem Buddhisten, Christen, Hindu, Moslem, welcher zu den Gebetsveranstaltungen und Ritualen der anderen Glaubensrichtung eingeladen wird, wird ein Stück der neuen Welt friedlich hinzu gewonnen und ein Teil der Herrlichkeit Gottes offenbar..."

Zitat aus: "Die Begegnung mit den fremden Geschwistern, in Ar Gwyr: Gesamttext  Nummer 1, 2. Kapitel  ) Bildnachweis: eigenes Foto, Maria Laach. Text: Copyright bei W. D.-Heller


zum Anfang dieser Seite HOME  Copyright  & Bildnachweise